THE SOUND IS THE MESSAGE
(SISTM)
2022
Mediaart Installation
Bells, gongs, the sound bowl: sound fragments as parts of an acoustic pulse that for centuries guided our life and gave rhythm. The spiritual roots of sound communication have taken flight in the digital age: as a soundtrack to a society that dissolves and materializes at the same time. Between stress and relaxation, order and chaos, overstimulation and rabbit holes, digital sounds in all their variety envelope us like a second skin.
The invisible effects of these mechanisms on us and our nervous system are the research subject of SISTM as a multidimensional environment. In an immersive multi-channel rush through the evolution of sound signals – from the ancient flute to the mobile phone – the multitude of communication through sound is made tangible.
THE SOUND IS THE MESSAGE (SISTM) was funded by the UNESCO City of Media Arts Karlsruhe 2021.
How do our body and our perception change in the blue light of digitization?
Der Selbstentwurf im digitalen Spannungsfeld
– eine Spur.
JULIA SCHIFFER
Selbstgestaltung
ist der Vektor unserer Zeit.
Mit Selbstfindung und Selbstverwirklichung
in allen
(digitalen)
Formen und Farben
streben wir nach Vervollkommnung
Schon NIETZSCHE fordert uns auf:
„Du sollst der werden, der du bist.“
#nopressure.
A
self-creating
and
self-destructing
spectacle.
Das Sinnbild für die Arbeit an sich selbst erschafft Jean Tinguely im Jahr 1960 für den Skulpturen-Garten des Museum of Modern Art in New York. Sein Werk „Homage to New York“ war eine hochkomplexe Maschinerie, die sich in dem Moment, in dem sie sich
selbst erschafft,
zugleich
selbst zerstört.
Eine Hommage an die Energie eines Selbst, das sich immer wieder neu erfindet, sich widerspricht, sich transformiert und jeglicher
Fixierung entzieht.
Sich erschaffen, sich zerstören,
sich verformen, sich widerstehen:
Bedeutet das
sich selbst finden
oder
sich selbst verlieren?
#selfcaring= #selfsharing
In der Selbstgestaltung begegnen wir nicht nur uns, sondern auch der kapitalistischen Agenda. „Nur wer unverwechselbar ist, kann vollständig überwacht werden. ‚Be yourself” heißt heute auch “identify yourself” (FRIEDRICH VON BORRIES), denn das ist der ideale Nährboden für Kontrollstrukturen. Der Algorithmus ist nur einer der gläsernen Schuhe, die perfekt passen, weil wir unser Innerstes unverwechselbar nach außen tragen. Individualität (Unteilbarkeit) ist also doch teilbar.
Gibt es eine Arbeit an sich selbst, die sich
jeglichem Konsum,
jeglicher Überwachung
und
sogar
jeglicher Gesellschaft
entzieht?
Gängigen gesellschaftlichen Konzepten der Selbstfindung:
Ganzheit
Vollendung
Individualität
Einheit
stellt
Hendrik Vogel
in seinen Arbeiten bewegliche Konzepte entgegen:
Das Absurde.
Das Unscharfe.
Das Undefinierte.
Das Mehrkanalige.
Das Widersprüchliche.
Das Vielseitige.
Das Alles.
Das Nichts.
Selbstgestaltung hat in jeglicher Form das Potential, sich zu entwerfen und sich zu unterwerfen. Sie kann befreien und beschränken. Sich abheben. Sich anpassen. Sich selbst zu entwerfen kann revolutionär sein, wenn es zum losgelösten Gegenentwurf wird – zu Unschärfe, zu radikaler Freiheit. Und dadurch im Kern zu Systemkritik. Zu diesem Ziel dürfen wir
uns, statt als
Unterworfene Subjekte,
als
entwerfende Projekte
begreifen
(BYUNG CHUL HAN).
Im Spannungsfeld von
Selbstentwerfen und Selbstunterwerfen
schlägt uns FRIEDRICH VON BORRIES den porösen Menschen vor:
„Porösität wird dabei als Offenheit, Durchlässigkeit und Löchrigkeit verstanden. Diese Porosität ist Gegensatz zum gängigen Ideal von Perfektion. Die Porosität (…) ist riskant und verletzlich, aber dadurch auch offen für Veränderung. Der poröse Mensch hat ein Selbst, auch wenn dieses nicht abgeschlossen, sondern in sich beweglich ist. Ein poröser Mensch ist mit seiner Leiblichkeit offen für Transformationen, er ist mit seinem Geist offen für Vernetzungen. Ein poröser Mensch bietet Andockstellen für Technologien, die ihn optimieren, aber ein poröser Mensch hat auch Fehler. Der poröse Mensch akzeptiert sich als ein Mängelwesen, das sich zu entwerfen versucht, ohne sich – im Bewusstsein, dass jeder Selbstentwurf unvollendet bleiben wird – auf ein Ergebnis festzulegen. Das entwerfende Selbstdesign des porösen Menschen ist ein Design, das dem Selbst Freiheit gibt.“ (FRIEDRICH VON BORRIES)
Design oder Dasein?
Das Selbst im blauen Licht des kollektiven Digitalen.
Das “Truman-Syndrom” ist eine Form der Persönlichkeitsstörung, in der Menschen glauben, dass ihr Leben eine Realityshow ist, in der sie kontinuierlich per Kamera beobachtet werden. Die Erkrankung wurde 2008 von einem Psychiater und einem Neurowissenschaftler entdeckt und nach dem Film ‚The Truman Show‘ (1998) benannt. Die Wissenschaftler vermuteten, dass das Truman-Syndrom ein Erklärungsversuch für eine sich rasant verändernde Welt ist, die verstärkt mit Irrationalität und Immaterialität operiert. Der Protagonist des Films „The Truman Show“ ist ein Gefangener im goldenen, digitalen Käfig, in einem Paradies aus optimierten Selbstdarsteller*innen. Routine, Vorhersehbarkeit und Sicherheit bestimmen jeden Tag:
„Guten Morgen! Und falls wir uns nicht mehr sehen sollten:
Guten Tag, guten Abend und gute Nacht!“. (THE TRUMAN SHOW)
Truman Burbank lebt in einem medial kontrollierten Paradies, in dem progressive und revolutionäre Prozesse ausgeschlossen sind. Zu Freiheit und Erkenntnis gelangt der Protagonist nur durch den Verlust der heilen Welt. Nur durch den inneren Wandel, durch den transzendentalen Drang, ist ein äußerer Wandel in seinem Leben möglich. Die Schöpfung erhebt sich am Ende gegen ihren Schöpfer und entlarvt das Dasein als digitales Design. Die Frage ist nur: Findet man am Ende des Sturms wirklich die Wahrheit über sich selbst – oder ist das Leben auch hinter der Kulisse nur eine immersive Mediensartire?
Was liegt hinter dem digitalen Craquelet
– wie hören wir unsere innere Stimme im Multmedialen?
Ist die Frage
nach
Selbstmaterialisierung
die Antwort
auf die
Immaterialisierung im Digitalen?
Die Reflektion bzw. Reflexion dieser Fragen findet sich in der Soundinstallation
“The sound is the massage” (SISTM)
von
Hendrik Vogel.
SISTM ist eine immersive Reise durch die Evolution der Kommunikationsklänge – von der Urflöte bis zum Handysound.
Das Glockenläuten,
der Gong,
die Klangschale:
Diese Soundfragmente sind Teil eines akustischen Pulsschlags, der unser Leben seit Jahrtausenden reguliert und rhythmisiert. Die spirituellen Wurzeln der Klangkommunikation haben in der digitalen Zeit ihre Flügel ausgebreitet: Als Tonspur einer Gesellschaft, die sich auflöst und dadurch gleichzeitig selbst materialisiert. Zwischen Stress und Entspannung, Struktur und Chaos, Überreizung und Rabbit Hole legt sich die Vielfalt von digitalen Klängen wie eine zweite Haut über uns. Als akustische Dramaturgie der Kommunikation und codierte
Handlungsaufforderung
haben Klänge das Potenzial
zum (Um)Lenken,
zu, (Un)Ordnen.
Sie sind es, die unseren Devices eine Stimme erteilen, Interaktion formen und definieren. „Nicht die Grenzen meines Körpers, sondern die Grenzen meiner Geräte sind die Grenzen meiner Welt.“ (NORBERT BOLZ). Die unsichtbaren Auswirkungen dieser Mechanismen auf uns und unser Nervensystem erforscht
Hendrik Vogel in seinem
Environment.
Welchen Einfluss hat die multimediale Massage
auf Körper und Geist?
Wie bereinigt man
Noisepollution?
Ist
weißes Rauschen
nur
„Der Klangteppich,
auf dem man
den Schmutz
nicht sieht.“ (YASSIN)?
Werfen wir einen Blick über unsere digitale Schulter – denn die
Überreizung der Sinne
ist
ein
alter
Hut,der schon vielen Menschen gepasst hat:
Das „Stendhal-Syndrom“
bezeichnet psychosomatische Störungen, die durch eine kulturelle Reizüberflutung auftreten. Der Begriff bezieht sich auf eine Notiz aus dem 1817 veröffentlichten Reisebericht des französischen Schriftstellers STENDHAL. Dieser fühlt sich bei seiner Ankunft in der italienischen Stadt Florenz wie in einem Wahnzustand: hocherfreut und hocherschöpft zugleich. Mit Herzrasen, Euphorie und Atemnot.
Vielleicht ist der state of mind des Multimedialen-digitalen:
Große Ergriffenheit
verbunden mit
großer Verwirrung.
Marshall McLuhan betrachtet den Mediengebrauch seiner Zeit als eine Kulturtechnik, die unterschiedliche Wahrnehmungsbereiche miteinander vernetzt, als Sinn-Synthese: »Das Fernsehbild hat auf jeden Fall mit einer vereinigenden, synästhetischen Kraft auf die Sinneserfahrung dieser stark von der alphabetischen Kultur geprägten Völker gewirkt. (…) Radio und Fernsehen (…), diese gewaltigen Erweiterungen unseres Zentralnervensystems, haben den westlichen Menschen das Erlebnis der Synästhesie zu etwas Alltäglichem gemacht. Die westliche Lebensweise, wie sie schon seit Jahrhunderten durch strenge Trennung und Spezialisierung der Sinne zustande kam, wobei das Sehen die wichtigste Rolle übernahm, kann den Radio- und Fernsehwellen nicht standhalten, welche die ganze Augenwelt des abstrakten, individualistischen Menschen überfluten.«
Ist es das Digitale selbst, das unsere Wahrnehmungsmuster prägt, oder unser Gebrauch, der dazu führt, dass sich unsere Sinneswahrnehmung entsprechend neu organisiert? Benutzen wir unsere Devices oder benutzen sie uns?
Du kannst ja auch
das Gerät,
„das schwarze Rechteck“ (HENDRIK VOGEL),
einfach abschalten, oder?
Ja,
aber:
Das Fehlen äußerer Einflüsse führt nicht zu absoluten Stille, sondern zu einer Konzentration auf innere Sinneserfahrung, die in der alltäglichen Wahrnehmung unterdrückt wird. Das ist das Konzept der Klavieraufführung »4'33''« von John Cage, die 1952 uraufgeführt wurde. Während des gesamten Stückes erklingt kein einziger Klavierton. Statt die Tasten zu bedienen, klappt der Pianist den Klavierdeckel auf und zu und erzeugt so eine vermeintliche Stille. Was dabei tatsächlich zu hören ist, sind die Zuschauergeräusche:
Rascheln,
Husten,
Räuspern,
Zwischenrufe.
Spiegeln wir uns also doch nur selbst
in unseren Screens?
Ovid
erzählt, wie Narziss nach seinem eigenen Spiegelbild im Wasser greift und es zu fassen versucht:
Küsse gab er, wie oft! vergebens der trügenden Quelle,
tauchte die Arme, wie oft! den erschauten Hals zu umschlingen,
mitten hinein in die Flut und kann sich in dieser nicht greifen,
weiß nicht, was er da schaut, doch was er schaut,
daran brennt er. (OVID)
Das
Sich-selbst-festhalten-Wollen
, das
Zurückgeworfenwerden
, das
sich spiegeln
. das
sich reflektieren
– findet heute im Screen,
nicht im Wasser
statt:
“Screentime
– when the Scrolling is easy.” (HENDRIK VOGEL)
Dabei möchten wir
unser Spiegelbild nicht nur ergreifen,
sondern
finden,
verändern,
erschaffen.
Sterben auch wir an der Quelle?
Oder begegnen wir uns selbst,
im blauen Licht der Digitalisierung?
fragt
das Hörspiel
„Das Schwarze Rechteck“,
eine vertonte
Suche nach dem Ich,
Frage nach dem Wir,
Liebe zum Fragment,
Ikone unserer Zeit.
Nicht nur unser Smartphone, das schwarze Rechteck, sondern die gesamte
Digitalität ist an
Narrative der Spiritualität
gekoppelt.
Dazu gehören – wie in jeder Religion – spirituelle Artefakte, heute:
digitale Immaterialien.
Auch hier gibt es Codes, die nur Gläubige lesen können:
„Schließlich basiert unsere ganze aktuelle Computer- und Internetnutzung auf Clouddiensten – die digitale Realität ist quasi aus
Wolkenschaum gemacht.“ (DIE FORM)
Das Verschwinden des Realen ist jedoch nicht nur eine Frage des spirituellen Digitalen, sondern auch eine Frage der Distanz und der Perspektive: „Über den Mord an der Realität im Zeitalter der Medien, des Virtuellen und der Netze ist genug gesagt worden – ohne daß man sich allzusehr die Frage gestellt hätte, wann das Reale denn zu existieren begann. Wenn man nun aber genauer hinschaut, sieht man, daß die reale Welt in der Moderne mit dem Entschluß beginnt, sie umzuwandeln, und zwar durch Wissenschaft, die analytische Erkenntnis der Welt und deren technologische Anwendung – das heißt (…) mit der Erfindung eines archimedischen Punkts außerhalb der Welt (ausgehend von der Erfindung des Teleskops durch Galilei und der Entdeckung der mathematischen Berechnung), wodurch die natürliche Welt definitiv auf Distanz gehalten wird. Das ist der Moment, da der Mensch sich der Welt zum einen entledigt, indem er sie analysiert und verwandelt, ihr gleichzeitig aber auch Realitätskraft verleiht. Man kann also sagen, daß die reale Welt paradoxerweise genau zu jenem Zeitpunkt zu verschwinden beginnt, da sie zu existieren beginnt.“
(JEAN BEAUDRILLARD)
Indem wir die Welt analysieren und digitalisieren, lösen wir sie ab und lösen wir sie auf.
Indem wir uns analysieren und digitalisieren, lösen wir uns ab und lösen wir uns auf.
Ist die Arbeit an sich selbst noch möglich im digitalen Kollektiv unserer Gesellschaft?
Ist die Arbeit an unserer Gesellschaft noch möglich, wenn Selbstreflexion alles einnimmt?
Fest steht,
wer sich
im blauen Licht
finden will,
kann sich auf 101 verschiedene Arten verlieren. Sich entwerfen und sich unterwerfen.
Die Wahrnehmung des Selbst und die Wahrnehmung digitaler Tools
sind an unsere Perspektive gebunden.
Diese können wir nicht immer mit Distanz versehen
– deren technische, ästhetische und soziale
Codierung
werden jedoch von Künstlern wie
Hendrik Vogel
erfahrbar.
Denn in einer Zeit
der stillen Veränderung,
der Algorithmen
und
der unsichtbaren Systeme,
muss man
zwischen den Zeilen
nach Widerstand suchen.
Bleue
Bleue
Bleue
Bleue
Bleue
Bleue
Bleue
Bleue
Bleue
… Les lumières dansaient
Bleues
Elles éclairaient ses yeux
Bleus
C'était les reflets
Bleus
D'une femme à la peau
Bleue
D'une femme à la peau
Bleue
… Bleue
Bleue
Bleue
Bleue
Bleue
Une femme à la peau bleue
(CHARLINE MIGNOT)
THE SOUND IS THE MESSAGE
(SISTM)
2022
Mediaart Installation
Bells, gongs, the sound bowl: sound fragments as parts of an acoustic pulse that for centuries guided our life and gave rhythm. The spiritual roots of sound communication have taken flight in the digital age: as a soundtrack to a society that dissolves and materializes at the same time. Between stress and relaxation, order and chaos, overstimulation and rabbit holes, digital sounds in all their variety envelope us like a second skin.
The invisible effects of these mechanisms on us and our nervous system are the research subject of SISTM as a multidimensional environment. In an immersive multi-channel rush through the evolution of sound signals – from the ancient flute to the mobile phone – the multitude of communication through sound is made tangible.
THE SOUND IS THE MESSAGE (SISTM) was funded by the UNESCO City of Media Arts Karlsruhe 2021.
How do our body and our perception change in the blue light of digitization?
Der Selbstentwurf im digitalen Spannungsfeld
– eine Spur.
JULIA SCHIFFER
Selbstgestaltung
ist der Vektor unserer Zeit.
Mit Selbstfindung und Selbstverwirklichung
in allen
(digitalen)
Formen und Farben
streben wir nach Vervollkommnung
Schon NIETZSCHE fordert uns auf:
„Du sollst der werden, der du bist.“
#nopressure.
A
self-creating
and
self-destructing
spectacle.
Das Sinnbild für die Arbeit an sich selbst erschafft Jean Tinguely im Jahr 1960 für den Skulpturen-Garten des Museum of Modern Art in New York. Sein Werk „Homage to New York“ war eine hochkomplexe Maschinerie, die sich in dem Moment, in dem sie sich
selbst erschafft,
zugleich
selbst zerstört.
Eine Hommage an die Energie eines Selbst, das sich immer wieder neu erfindet, sich widerspricht, sich transformiert und jeglicher
Fixierung entzieht.
Sich erschaffen, sich zerstören,
sich verformen, sich widerstehen:
Bedeutet das
sich selbst finden
oder
sich selbst verlieren?
#selfcaring= #selfsharing
In der Selbstgestaltung begegnen wir nicht nur uns, sondern auch der kapitalistischen Agenda. „Nur wer unverwechselbar ist, kann vollständig überwacht werden. ‚Be yourself” heißt heute auch “identify yourself” (FRIEDRICH VON BORRIES), denn das ist der ideale Nährboden für Kontrollstrukturen. Der Algorithmus ist nur einer der gläsernen Schuhe, die perfekt passen, weil wir unser Innerstes unverwechselbar nach außen tragen. Individualität (Unteilbarkeit) ist also doch teilbar.
Gibt es eine Arbeit an sich selbst, die sich
jeglichem Konsum,
jeglicher Überwachung
und
sogar
jeglicher Gesellschaft
entzieht?
Gängigen gesellschaftlichen Konzepten der Selbstfindung:
Ganzheit
Vollendung
Individualität
Einheit
stellt
Hendrik Vogel
in seinen Arbeiten bewegliche Konzepte entgegen:
Das Absurde.
Das Unscharfe.
Das Undefinierte.
Das Mehrkanalige.
Das Widersprüchliche.
Das Vielseitige.
Das Alles.
Das Nichts.
Selbstgestaltung hat in jeglicher Form das Potential, sich zu entwerfen und sich zu unterwerfen. Sie kann befreien und beschränken. Sich abheben. Sich anpassen. Sich selbst zu entwerfen kann revolutionär sein, wenn es zum losgelösten Gegenentwurf wird – zu Unschärfe, zu radikaler Freiheit. Und dadurch im Kern zu Systemkritik. Zu diesem Ziel dürfen wir
uns, statt als
Unterworfene Subjekte,
als
entwerfende Projekte
begreifen
(BYUNG CHUL HAN).
Im Spannungsfeld von
Selbstentwerfen und Selbstunterwerfen
schlägt uns FRIEDRICH VON BORRIES den porösen Menschen vor:
„Porösität wird dabei als Offenheit, Durchlässigkeit und Löchrigkeit verstanden. Diese Porosität ist Gegensatz zum gängigen Ideal von Perfektion. Die Porosität (…) ist riskant und verletzlich, aber dadurch auch offen für Veränderung. Der poröse Mensch hat ein Selbst, auch wenn dieses nicht abgeschlossen, sondern in sich beweglich ist. Ein poröser Mensch ist mit seiner Leiblichkeit offen für Transformationen, er ist mit seinem Geist offen für Vernetzungen. Ein poröser Mensch bietet Andockstellen für Technologien, die ihn optimieren, aber ein poröser Mensch hat auch Fehler. Der poröse Mensch akzeptiert sich als ein Mängelwesen, das sich zu entwerfen versucht, ohne sich – im Bewusstsein, dass jeder Selbstentwurf unvollendet bleiben wird – auf ein Ergebnis festzulegen. Das entwerfende Selbstdesign des porösen Menschen ist ein Design, das dem Selbst Freiheit gibt.“ (FRIEDRICH VON BORRIES)
Design oder Dasein?
Das Selbst im blauen Licht des kollektiven Digitalen.
Das “Truman-Syndrom” ist eine Form der Persönlichkeitsstörung, in der Menschen glauben, dass ihr Leben eine Realityshow ist, in der sie kontinuierlich per Kamera beobachtet werden. Die Erkrankung wurde 2008 von einem Psychiater und einem Neurowissenschaftler entdeckt und nach dem Film ‚The Truman Show‘ (1998) benannt. Die Wissenschaftler vermuteten, dass das Truman-Syndrom ein Erklärungsversuch für eine sich rasant verändernde Welt ist, die verstärkt mit Irrationalität und Immaterialität operiert. Der Protagonist des Films „The Truman Show“ ist ein Gefangener im goldenen, digitalen Käfig, in einem Paradies aus optimierten Selbstdarsteller*innen. Routine, Vorhersehbarkeit und Sicherheit bestimmen jeden Tag:
„Guten Morgen! Und falls wir uns nicht mehr sehen sollten:
Guten Tag, guten Abend und gute Nacht!“. (THE TRUMAN SHOW)
Truman Burbank lebt in einem medial kontrollierten Paradies, in dem progressive und revolutionäre Prozesse ausgeschlossen sind. Zu Freiheit und Erkenntnis gelangt der Protagonist nur durch den Verlust der heilen Welt. Nur durch den inneren Wandel, durch den transzendentalen Drang, ist ein äußerer Wandel in seinem Leben möglich. Die Schöpfung erhebt sich am Ende gegen ihren Schöpfer und entlarvt das Dasein als digitales Design. Die Frage ist nur: Findet man am Ende des Sturms wirklich die Wahrheit über sich selbst – oder ist das Leben auch hinter der Kulisse nur eine immersive Mediensartire?
Was liegt hinter dem digitalen Craquelet
– wie hören wir unsere innere Stimme im Multmedialen?
Ist die Frage
nach
Selbstmaterialisierung
die Antwort
auf die
Immaterialisierung im Digitalen?
Die Reflektion bzw. Reflexion dieser Fragen findet sich in der Soundinstallation
“The sound is the massage” (SISTM)
von
Hendrik Vogel.
SISTM ist eine immersive Reise durch die Evolution der Kommunikationsklänge – von der Urflöte bis zum Handysound.
Das Glockenläuten,
der Gong,
die Klangschale:
Diese Soundfragmente sind Teil eines akustischen Pulsschlags, der unser Leben seit Jahrtausenden reguliert und rhythmisiert. Die spirituellen Wurzeln der Klangkommunikation haben in der digitalen Zeit ihre Flügel ausgebreitet: Als Tonspur einer Gesellschaft, die sich auflöst und dadurch gleichzeitig selbst materialisiert. Zwischen Stress und Entspannung, Struktur und Chaos, Überreizung und Rabbit Hole legt sich die Vielfalt von digitalen Klängen wie eine zweite Haut über uns. Als akustische Dramaturgie der Kommunikation und codierte
Handlungsaufforderung
haben Klänge das Potenzial
zum (Um)Lenken,
zu, (Un)Ordnen.
Sie sind es, die unseren Devices eine Stimme erteilen, Interaktion formen und definieren. „Nicht die Grenzen meines Körpers, sondern die Grenzen meiner Geräte sind die Grenzen meiner Welt.“ (NORBERT BOLZ). Die unsichtbaren Auswirkungen dieser Mechanismen auf uns und unser Nervensystem erforscht
Hendrik Vogel in seinem
Environment.
Welchen Einfluss hat die multimediale Massage
auf Körper und Geist?
Wie bereinigt man
Noisepollution?
Ist
weißes Rauschen
nur
„Der Klangteppich,
auf dem man
den Schmutz
nicht sieht.“ (YASSIN)?
Werfen wir einen Blick über unsere digitale Schulter – denn die
Überreizung der Sinne
ist
ein
alter
Hut,der schon vielen Menschen gepasst hat:
Das „Stendhal-Syndrom“
bezeichnet psychosomatische Störungen, die durch eine kulturelle Reizüberflutung auftreten. Der Begriff bezieht sich auf eine Notiz aus dem 1817 veröffentlichten Reisebericht des französischen Schriftstellers STENDHAL. Dieser fühlt sich bei seiner Ankunft in der italienischen Stadt Florenz wie in einem Wahnzustand: hocherfreut und hocherschöpft zugleich. Mit Herzrasen, Euphorie und Atemnot.
Vielleicht ist der state of mind des Multimedialen-digitalen:
Große Ergriffenheit
verbunden mit
großer Verwirrung.
Marshall McLuhan betrachtet den Mediengebrauch seiner Zeit als eine Kulturtechnik, die unterschiedliche Wahrnehmungsbereiche miteinander vernetzt, als Sinn-Synthese: »Das Fernsehbild hat auf jeden Fall mit einer vereinigenden, synästhetischen Kraft auf die Sinneserfahrung dieser stark von der alphabetischen Kultur geprägten Völker gewirkt. (…) Radio und Fernsehen (…), diese gewaltigen Erweiterungen unseres Zentralnervensystems, haben den westlichen Menschen das Erlebnis der Synästhesie zu etwas Alltäglichem gemacht. Die westliche Lebensweise, wie sie schon seit Jahrhunderten durch strenge Trennung und Spezialisierung der Sinne zustande kam, wobei das Sehen die wichtigste Rolle übernahm, kann den Radio- und Fernsehwellen nicht standhalten, welche die ganze Augenwelt des abstrakten, individualistischen Menschen überfluten.«
Ist es das Digitale selbst, das unsere Wahrnehmungsmuster prägt, oder unser Gebrauch, der dazu führt, dass sich unsere Sinneswahrnehmung entsprechend neu organisiert? Benutzen wir unsere Devices oder benutzen sie uns?
Du kannst ja auch
das Gerät,
„das schwarze Rechteck“ (HENDRIK VOGEL),
einfach abschalten, oder?
Ja,
aber:
Das Fehlen äußerer Einflüsse führt nicht zu absoluten Stille, sondern zu einer Konzentration auf innere Sinneserfahrung, die in der alltäglichen Wahrnehmung unterdrückt wird. Das ist das Konzept der Klavieraufführung »4'33''« von John Cage, die 1952 uraufgeführt wurde. Während des gesamten Stückes erklingt kein einziger Klavierton. Statt die Tasten zu bedienen, klappt der Pianist den Klavierdeckel auf und zu und erzeugt so eine vermeintliche Stille. Was dabei tatsächlich zu hören ist, sind die Zuschauergeräusche:
Rascheln,
Husten,
Räuspern,
Zwischenrufe.
Spiegeln wir uns also doch nur selbst
in unseren Screens?
Ovid
erzählt, wie Narziss nach seinem eigenen Spiegelbild im Wasser greift und es zu fassen versucht:
Küsse gab er, wie oft! vergebens der trügenden Quelle,
tauchte die Arme, wie oft! den erschauten Hals zu umschlingen,
mitten hinein in die Flut und kann sich in dieser nicht greifen,
weiß nicht, was er da schaut, doch was er schaut,
daran brennt er. (OVID)
Das
Sich-selbst-festhalten-Wollen
, das
Zurückgeworfenwerden
, das
sich spiegeln
. das
sich reflektieren
– findet heute im Screen,
nicht im Wasser
statt:
“Screentime
– when the Scrolling is easy.” (HENDRIK VOGEL)
Dabei möchten wir
unser Spiegelbild nicht nur ergreifen,
sondern
finden,
verändern,
erschaffen.
Sterben auch wir an der Quelle?
Oder begegnen wir uns selbst,
im blauen Licht der Digitalisierung?
fragt
das Hörspiel
„Das Schwarze Rechteck“,
eine vertonte
Suche nach dem Ich,
Frage nach dem Wir,
Liebe zum Fragment,
Ikone unserer Zeit.
Nicht nur unser Smartphone, das schwarze Rechteck, sondern die gesamte
Digitalität ist an
Narrative der Spiritualität
gekoppelt.
Dazu gehören – wie in jeder Religion – spirituelle Artefakte, heute:
digitale Immaterialien.
Auch hier gibt es Codes, die nur Gläubige lesen können:
„Schließlich basiert unsere ganze aktuelle Computer- und Internetnutzung auf Clouddiensten – die digitale Realität ist quasi aus
Wolkenschaum gemacht.“ (DIE FORM)
Das Verschwinden des Realen ist jedoch nicht nur eine Frage des spirituellen Digitalen, sondern auch eine Frage der Distanz und der Perspektive: „Über den Mord an der Realität im Zeitalter der Medien, des Virtuellen und der Netze ist genug gesagt worden – ohne daß man sich allzusehr die Frage gestellt hätte, wann das Reale denn zu existieren begann. Wenn man nun aber genauer hinschaut, sieht man, daß die reale Welt in der Moderne mit dem Entschluß beginnt, sie umzuwandeln, und zwar durch Wissenschaft, die analytische Erkenntnis der Welt und deren technologische Anwendung – das heißt (…) mit der Erfindung eines archimedischen Punkts außerhalb der Welt (ausgehend von der Erfindung des Teleskops durch Galilei und der Entdeckung der mathematischen Berechnung), wodurch die natürliche Welt definitiv auf Distanz gehalten wird. Das ist der Moment, da der Mensch sich der Welt zum einen entledigt, indem er sie analysiert und verwandelt, ihr gleichzeitig aber auch Realitätskraft verleiht. Man kann also sagen, daß die reale Welt paradoxerweise genau zu jenem Zeitpunkt zu verschwinden beginnt, da sie zu existieren beginnt.“
(JEAN BEAUDRILLARD)
Indem wir die Welt analysieren und digitalisieren, lösen wir sie ab und lösen wir sie auf.
Indem wir uns analysieren und digitalisieren, lösen wir uns ab und lösen wir uns auf.
Ist die Arbeit an sich selbst noch möglich im digitalen Kollektiv unserer Gesellschaft?
Ist die Arbeit an unserer Gesellschaft noch möglich, wenn Selbstreflexion alles einnimmt?
Fest steht,
wer sich
im blauen Licht
finden will,
kann sich auf 101 verschiedene Arten verlieren. Sich entwerfen und sich unterwerfen.
Die Wahrnehmung des Selbst und die Wahrnehmung digitaler Tools
sind an unsere Perspektive gebunden.
Diese können wir nicht immer mit Distanz versehen
– deren technische, ästhetische und soziale
Codierung
werden jedoch von Künstlern wie
Hendrik Vogel
erfahrbar.
Denn in einer Zeit
der stillen Veränderung,
der Algorithmen
und
der unsichtbaren Systeme,
muss man
zwischen den Zeilen
nach Widerstand suchen.
Bleue
Bleue
Bleue
Bleue
Bleue
Bleue
Bleue
Bleue
Bleue
… Les lumières dansaient
Bleues
Elles éclairaient ses yeux
Bleus
C'était les reflets
Bleus
D'une femme à la peau
Bleue
D'une femme à la peau
Bleue
… Bleue
Bleue
Bleue
Bleue
Bleue
Une femme à la peau bleue
(CHARLINE MIGNOT)